Sind die Grünen mit der Macht überfordert und wie es heute Sozi zu sein?
Die ehemaligen Grünen-Abgeordneten Meryem Celikkol und Fatih Karışmaz im Exklusiv-Interview.
Sie waren bei den Grünen aktiv und wurden in die Bezirksversammlung gewählt. Was danach passierte, eignet sich für einen politischen Thriller. Sie wurden diffamiert, ausgeschlossen und sollten aus der Partei geschmissen werden. Im Exklusiv-Interview erzählen die ehemaligen Grünen-Abgeordnete Meryem Celikkol und Fatih Karışmaz über ihre Erfahrungen, Enttäuschungen und wie es jetzt ist ein Sozi zu sein.
Fr. Celikkol gab es Masseneintritte bei den Grünen?
Nein. Masseneintritte in diesem Sinne hat es eigentlich nicht gegeben. Es hat insgesamt einen großen Zulauf bei den Grünen, ausgelöst durch den Hype um die Partei, gegeben.
Herr Karışmaz warum sind Sie bei den Grünen eingetreten?
Mir sind Umweltthemen und Nachhaltigkeit sehr wichtig. Deshalb habe ich mich für die Grünen entschieden.
Herr Karışmaz, Sie sind eingetreten und haben sich für die Wahlen aufstellen lassen. Wie kam es dazu? Gab es Probleme bei der Aufstellung?
Ich habe mich selber vorgeschlagen und wollte mich aktiv einbringen. Ich habe auf Platz 10 kandidiert. Ein Parteimitglied, den man schon versucht hatte aus der Partei zu schmeißen wegen seinen Ansichten, stellte mir eine Frage: „Cem Özdemir hat gesagt, kein heiliges Buch steht über dem Grundgesetz“, wie ist deine Haltung dazu? Ich antwortete, dass ich diesem Satz zustimme und führte aus, dass es uns gesellschaftliches Zusammenleben regelt und die Basis unserer politischen Arbeit ist. Währenddessen kam es zu einem Zwischenruf. „Und zuhause dann der Koran.“ In diesem Moment weißt du gar nicht, wie dir geschieht. Die Landesvorsitzende und der damalige Fraktionsvorsitzender der Bezirksfraktion waren auch anwesend. Es gab eine Gegenkandidatur gegen mich, aber die Mitglieder haben mich gewählt.
Fr. Celikkol wie haben Sie diese Situation empfunden?
Die Landesvorsitzende und der ehem. Fraktionsvorsitzende standen beide neben mir. Als ich die Frage hörte, habe ich von hinten in den Saal gerufen, dass das eine rassistisch-diskriminierende Frage ist, die nur jemandem mit Migrationsgeschichte gestellt wird. Der ehem. Fraktionsvorsitzende versuchte die Frage zu relativieren, weil das Mitglied für rechte Äußerungen innerhalb der Partei bekannt ist und als ich die Landesvorsitzende darauf ansprach, warum sie das zulasse, drehte sie sich einfach nur weg. Ich habe die Anti-Diskriminierungsstelle in Berlin angerufen und denen die Vorkommnisse geschildert.
Hat der Wahlsieg die Grünen überfordert? Warum ist die Situation nach der Wahl so eskaliert?
Celikkol: Das ist eine gute Frage, die ich mir auch oft gestellt habe. Ich weiß es nicht. Ich kann das Verhalten nicht nachvollziehen.
Herr Karışmaz wie haben Sie die Tage nach der Wahl erlebt?
Ich habe zwei Tage nach der Wahl erfahren, dass ich gewählt wurde. Am 06. Juni musste ich wegen einem Todesfall in die Türkei. Am 07. Juni erhielt ich eine Email von der Landesvorsitzenden und ihrem Stellvertreter, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich in meiner Bewerbungsrede auf der Listenaufstellung gesagt hätte, dass das Grundgesetz nur bis zur Haustür gelte, und dass in Frage gestellt wird, ob meine Mitgliedschaft mit den Grund-
werten der Grünen vereinbar sei.
Warum glauben Sie hat man mit dieser Email erst die Wahl abgewartet und nicht das Gespräch mit Ihnen gesucht?
Das ist eine berechtigte Frage. Ende Januar war die Aufstellung und die Email habe ich im Juni erhalten. Ich vermute, dass sie selber mit diesem Erfolg nicht gerechnet haben und abwarten wollten, ob wir gewählt werden. Sie haben von Verdachtsmomenten gesprochen, seien aber noch in der Prüfung, man strebe ein Parteiausschussverfahren an. In derselben Email stand, dass Hr. Sediqi und ich für denselben Nachmittag zum Rapport gebeten werden.
Fr. Celikkol, Sie sind am 14.06. zur konstituierenden Fraktionssitzung gegangen, zu welcher Hr. Karismaz und Hr. Sediqi nicht eingeladen worden sind. Schildern Sie uns bitte die Situation.
Noch vor der Sitzung hatte ich ein Telefonat und ein persönliches Gespräch mit der Kreisvorsitzenden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt weder aktiv in das Geschehnisse eingebracht, noch das Gespräch mit den betroffenen Abgeordneten gesucht hatte und meinte, der Landesvorstand hätte den Kontakt mit den beiden untersagt. Wir haben in der Kürze der Zeit um Verschiebung der konstituierenden Fraktionssitzung gebeten. Das wurde aber abgelehnt. Ich bin natürlich zur Sitzung gegangen und habe den Kollegen vor Ort mitgeteilt, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist. Daraufhin wurden wir 6 ausgeschlossen. Das Hamburger Abendblatt brachte am 15.06. dann in der Printausgabe, dass Manuel Muja einstimmig von 16 Abgeordneten gewählt worden sei, obwohl zwei der insgesamt 16 neu Gewählten vorab nicht eingeladen waren. Ein Rückruf haben sie wohl nicht mehr geschafft, sehr wohl aber in der online Ausgabe über den Ausschluss von zwei Abgeordneten wegen Islamismus Vorwürfen schreiben zu lassen. Am 17.06. hat der Landesvorstand dann ihre Namen in der Mopo veröffentlichen lassen und somit zwei junge Menschen öffentlich denunziert.
Hr. Karışmaz: Ich bin am 19. Juni wieder zurückgekommen. Und das Gespräch mit dem Landesvorstand sollte stattfinden, nachdem schon alles in Presse war. Ich habe sofort einen Anwalt konsultiert.
Wie haben sich Farid Müller, Anjes Tjarks und Katharina Fegebank zu der Thematik geäußert und verhalten? Wurden Gespräche geführt?
Celikkol: Ich habe alle angerufen. Anjes Tjarks meldete sich immerhin zurück und erklärte mir, dass die Anschuldigungen schwer wögen und ich aufpassen solle, auf welche Seite ich mich stelle.
Mit Katharina Fegebank haben wir geschrieben, da sie nicht in Hamburg war. Ich habe ihr das Gespräch mit Anjes Tjarks kurz geschildert und ausdrücklich betont, dass ich zu vermitteln versuche. Darauf kam keine Antwort mehr.
Farid Müller hat nicht reagiert. Auf der Kreismitgkiederversammlung am 24.09.19, auf der sich Farid Müller als Kreisvorsitzender wählen ließ, hatte ich die Möglichkeit, ihn darauf anzusprechen. Auf meine Frage, warum er sich nicht gemeldet hat, antwortete er, er sei damit überfordert und nicht im Thema gewesen.
Entsetzt und enttäuscht über seine Reaktion meinte ich, dass wenn er sich eingeschaltet und vermittelt hätte, wir heute nicht dastehen würden, wo wir stehen. Darauf antwortete er „Ja, das stimmt“ und drehte sich um und ging.
Wurden Sie aufgefordert, die Mandate abzugeben?
Celikkol: Nein. Sie haben wohl darauf spekuliert, dass Fatih und Shafi durch die Vorwürfe und Anschuldigungen so schwer beschädigt sind , dass sie die Mandate freiwillig abgeben und wir zurückkommen.
Herr Karışmaz Herr Sediqi hat seinen Job verloren und ist am gleichen Tag mit einem offenen Magengeschwür ins Krankenhaus gekommen? Wie sieht es bei Ihnen mit der Jobsuche aus?
Schwierig. Ich suche leider immer noch und bin zurzeit arbeitslos. Googlen Sie mich mal.
Wie fühlt man sich jetzt als Sozi?
Karışmaz: Ich hatte immer schon eine linke Einstellung. Mir fiel es nicht schwer, da ich auch schon früher zwischen den Grünen und der SPD überlegt hatte.
Celikkol: Am Anfang hatte ich das Gefühl, dass ich zwischen den Welten schwebte. Das ist ein Stück Identität, was man mir genommen hat. Die SPD hat traditionell tiefer verankerte Werte und eine verfestigtere Struktur. Und das gibt dir ein anderes Gefühl von politischer Heimat.