Die Bundesregierung hat trotz Warnung einen mutmaßlichen syrischen Folterchef nach Deutschland geholt und ihm ohne Anhörung Asyl gewährt.
Elbe Express / Haber Merkezi
Der Syrer Anwar R. bekam nach Recherchen des ARD-Magazins „Panorama“ (NDR) 2014 ein Visum für Deutschland. Dabei war Anwar R. kein herkömmlicher Kriegsflüchtling. Er diente zuvor dem syrischen Regime als hochrangiger Geheimdienstmitarbeiter. Anwar R. war Vernehmungschef in der für seine Folterpraktiken berüchtigten Geheimdienstabteilung 251, zu der auch das Gefängnis Al-Khatib in Damaskus gehört.
Seit April 2020 ist Anwar R. vor dem Oberlandesgericht Koblenz wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, für 58 Morde und mindestens 4000 Folterungen verantwortlich zu sein. Anwar R. bestreitet, Folter angeordnet oder sich daran beteiligt zu haben.
Ende 2012 desertierte Anwar R. nach eigenen Angaben vom syrischen Geheimdienst und setzte sich nach Jordanien ab. Bei der Flucht half ihm nach „Panorama“-Recherchen die syrische Opposition, der sich Anwar R. – mutmaßlich zum Schein – angeschlossen hatte. Im Gegenzug wollte Anwar R. offenbar Informationen über den Verbleib inhaftierter Assad-Gegner liefern, bestätigte der Regimegegner Wael Elkhaldy „Panorama“. „Anwar R. hat uns versprochen, dass er uns 22.000 Dokumente geben wird mit Informationen (zu Assad-Gegnern), wo sie sind oder ob sie umgebracht wurden.“ Diese Zusage von Anwar R. war auch ein Grund, weswegen der hochrangige Oppositionelle Riad Seif den früheren mutmaßlichen Folterchef dem deutschen Auswärtigen Amt zur Aufnahme empfahl. Das sagte Riad Seif als Zeuge vor dem Oberlandesgericht Koblenz aus.
Nur sechs Tage, nachdem Anwar R. 2014 ein Visum bei der deutschen Botschaft in Jordanien beantragt hatte, erhielt er einen positiven Bescheid. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter des Assad-Regimes wurde in ein Bundesaufnahmeprogramm für „besonders schutzbedürftige syrische Flüchtlinge“ aufgenommen.
Dabei waren die deutschen Behörden über Anwar R. und dessen frühere Tätigkeit als Vernehmungschef in einem Foltergefängnis des syrischen Geheimdienstes informiert. Beate Richter, damals Leiterin einer deutschen Entwicklungseinrichtung in Jordanien, hatte den deutschen Botschafter in Jordanien vor der Aufnahme von Anwar R. gewarnt. In einer E-Mail, die „Panorama“ vorliegt, schrieb sie dem Botschafter, Anwar R. habe „in der Abteilung (…) gearbeitet (…), wo man unter Folter die Menschen befragt“. Sie finde es „ungerecht und empörend, dass Deutschland gerade für solche Menschen die Türen öffnet, obwohl doch laut Medienberichten ca. 22.000 Syrer ein Einreisevisum beantragt haben.“ Der Botschafter meldete sich umgehend. Solche Hinweise seien nützlich: „Wir gehen der Sache nach.“
Zumindest scheint der Botschafter seine oberste Dienststelle in Berlin informiert zu haben. Auf Nachfrage von „Panorama“ bestätigt das Auswärtige Amt, es sei bekannt gewesen, dass Anwar R. für den syrischen Geheimdienst gearbeitet habe. Trotzdem, so schreibt das Auswärtige Amt, lagen „zu dem Zeitpunkt (…) bei den Sicherheitsbehörden keine Erkenntnisse zu Anwar R. vor, die gegen die Einreise und Visumerteilung gesprochen haben.“ Warum das Auswärtige Amt trotz Warnung Anwar R. für das humanitäre Aufnahmeprogramm der Bundesregierung aufnahm, beantwortet das Amt nicht.
Trotz der Warnung ließen die Behörden Anwar R. im Juli 2014 mit seiner Familie nach Deutschland einreisen. Als Anwar R. dann beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag stellte, war er offenbar selbst überrascht, wie einfach es lief. Vor Gericht sagte er später aus, er habe ausführlicher Stellung zu seinen Asylgründen nehmen wollen. Aber die Beamtin des BAMF habe gesagt: Es läge alles in der Akte schon vor und sein Fall sei bekannt. Er würde dann die Flüchtlingseigenschaft bekommen. Das BAMF äußert sich dazu nicht – man spreche aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht über Einzelfälle.
„Panorama“ liegt jedoch der Asylbescheid von Anwar R. vor. Demnach bekam er sowohl Flüchtlingsschutz als auch politisches Asyl, ohne dass er zuvor zu seinen Fluchtgründen befragt worden war. Auf die sonst übliche „persönliche Anhörung wurde (…) verzichtet“, heißt es darin – aufgrund einer Ausnahmeregelung.
Das Auswärtige Amt schreibt auf „Panorama“-Anfrage, man habe Anwar R. „unter anderem“ wegen der „Empfehlung eines hochrangigen Oppositionsvertreters“ nach Deutschland geholt. Was „unter anderem“ bedeutet, schreibt das Amt nicht. Es habe im „im Einklang mit der Syrienpolitik der Bundesregierung“ gestanden, die moderate Opposition zu unterstützen, der sich auch hochrangige Deserteure angeschlossen hätten.
Spekulationen, wonach das Auswärtige Amt oder der Bundesnachrichtendienst an brisanten Geheimdienstinformationen von Anwar R. interessiert waren, widerspricht das Auswärtige Amt. Man habe weder Informationen von Anwar R. bekommen noch sich darum bemüht. Auch aus BND-Kreisen heißt es, man habe nicht in Kontakt mit Anwar R. gestanden.
Nach „Panorama“-Informationen ist es unwahrscheinlich, dass Anwar R. jemals brisante Informationen preisgegeben hat. Syrische Oppositionelle, die ihn einst unterstützen wollten, sind jedenfalls längst ernüchtert. „Er hat uns nie Informationen gegeben, er hat uns verarscht“, sagt Wael Elkhaldy. Anwar R. will sich laut seinem Anwalt nicht zu den „Panorama“-Recherchen äußern.