Die Witwe des 2006 ermordeten Mehmet Kubasik, Elif Kubaşık, kritisiert die Entscheidung des Oberlandgerichts München. In einer persönlichen Erklärung schrieb sie, dass das Urteil nicht gerecht sei.
Elbe Express / Haber Merkezi
Teaserbild: Pixabay
In ihrer emotionalen Erklärung schrieb sie: “Immer wieder bin ich nach München ins Gericht gekommen, ich habe als Zeugin ausgesagt, obwohl es mir unendlich schwerfiel. Aber ich schuldete dies Mehmet. Für ihn, für uns, für unsere Kinder habe ich gekämpft. Ich hatte so viele Fragen: Wie konnte eine bewaffnete Gruppe über Jahre hinweg faschistische Morde und Anschläge in Deutschland begehen? Warum wurden sie nicht gestoppt? Was wusste der Staat davon? Bevor Mehmet ermordet wurde, hatten sie schon sieben andere Menschen umgebracht. (…) Ich konnte dies nicht ertragen. Noch während Sie kalt das Urteil vorlasen, habe ich den Saal verlassen. Wahrscheinlich haben Sie nicht einmal das bemerkt. Jetzt haben Sie viel Zeit verstreichen lassen, bis Sie uns das Urteil geschickt haben. Das Urteil ist sehr lang. Aber warum haben Sie dann nicht wenigstens aufgeschrieben, wonach Sie uns gefragt haben, was Sie von all den Zeugen, von uns und allen anderen gehört haben, was diese Morde mit uns und unseren Familien angerichtet haben? Warum haben Sie nicht das aufgeschrieben, was herausgekommen ist über die vielen Helfer dieser Gruppe, was
herausgekommen ist darüber, wer alles über diese drei Leute Bescheid wusste, wie nah der Staat ihnen war? Warum haben Sie nicht aufgeschrieben, dass man nicht die ganze Wahrheit finden kann, wenn Akten zerstört werden, wenn Zeugen lügen.”
Ein Jahr und neun Monate haben die Richter des 6. Senats am Oberlandesgericht München gebraucht, um schriftlich darzulegen, wie sie im NSU-Prozess zu ihrem Urteil gegen Beate Zschäpe, André E., Ralf Wohlleben, Holger G. und Carsten S. gekommen sind.
Ziel der Anschlagsserie des NSU sei es gewesen, “eine möglichst große terrorisierende Wirkung bei der Bevölkerung, den potenziellen Opfern und den staatlichen Organen herbeizuführen”, heißt es im Urteil. Und um dieses Ziel zu erreichen, sei das Bekennervideo, der sogenannte Paulchen-Panther-Film, von entscheidender Bedeutung gewesen.
In dem Film bekennt sich der NSU zu den Morden und Bombenanschlägen. Er endet mit dem “Paulchen Panther”-Spruch: “Heute ist nicht alle Tage. Wir kommen wieder keine Frage”. Ein anonymes Neonazi-Netzwerk bekennt sich also zu einer ganzen Tatserie, kündigt weitere Morde an und offenbart zugleich das Versagen der Ermittlungsbehörden. Im Urteil wird allerdings der Verfassungsschutz mit keiner einzigen Silbe erwähnt. Auch das Wort “V-Mann” taucht nur dreimal auf.
“Wir hatten auf Gerechtigkeit gehofft”
Die Witwe schrieb weiter: “Die Gerechtigkeit, die ich uns gegenüber erhofft hatte, hat das Urteil nicht gebracht. Es ist, als ob Mehmet nur eine Nummer für Sie gewesen ist, als ob es unsere Fragen nicht gegeben hätte. Wir wollten nichts Unmögliches. Wir wollten, dass Sie uns ernsthaft zuhören, uns, die schon vor allen andere ahnten, dass hinter den Morden Nazis stecken. Wir wollten, dass Sie Ihre Pflicht tun. Dass Sie untersuchen, was geschehen ist, dass Sie aufschreiben, was gesagt worden ist. Die Hoffnung, Antworten zu erhalten, habe ich trotz allem und trotz Ihnen nicht ganz aufgegeben. Es gibt zu viele Menschen, die bis heute nicht loslassen, die für uns und für die ganze Gesellschaft um die Wahrheit kämpfen, die dafür sorgen, dass Mehmet und all die anderen Opfer nicht vergessen werden. Ihnen gilt meine Dankbarkeit.”