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Çarşamba, Haziran 12, 2024

Aydan Özoğuz’un konuşması

aydanGrußwort von Staatsministerin Özoğuz, Ramadan-Empfang des Bündnisses der islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V., 30. Juni 2016

 

 

**es gilt das gesprochene Wort**

 

Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin,

sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete des Deutschen Bundestages, der Hamburgischen Bürgerschaft und der Bezirksversammlungen,

sehr geehrter Herr Bezirksamtsleiter,

sehr geehrter Herr Karaoğlu,

sehr geehrte Exzellenzen und Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

 

vorgestern habe ich im Bundeskanzleramt eine Konferenz zum Thema “Wer sind WIR – und wenn ja, wie viele?” durchgeführt. In diesem Jahr setze ich bei meinen Veranstaltungen einen Schwerpunkt auf das Verständnis von Deutschsein: Was gehört zum Deutschsein? Wer gehört zu unserer Gesellschaft? Und wer wird ausgeschlossen? Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns darüber verständigen, was uns eigentlich zusammenhält und was nicht.

 

Bei der Veranstaltung habe ich Nietzsche zitiert, und möchte das gerne noch einmal tun. Er sagte vor 130 Jahren, 1886: “Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage »was ist deutsch?« niemals ausstirbt.” Und Nietzsche kam zu dieser Antwort: „Die Deutschen sind unfassbarer, widersprüchlicher, unberechenbarer und überraschender, als es andere Völker sind.“ Vielleicht gehört es in die Kategorie überraschend, wenn wir heute hinzufügen: Deutsche sind auch in zunehmender Zahl Muslime! Was hätte Nietzsche wohl dazu gesagt?!

 

Für mich ist in diesem Jahr das Thema der Normalität von Muslimsein und Deutschsein wichtig. Und dass wir für diese Normalität stärker werben sollten, weil es immer noch Vorurteile und Mythen gegenüber Islam und Muslimen gibt. Vor allem weil es auch Menschen in unserem Land gibt, die anzweifeln, dass man Muslim und Deutsch sein kann.

 

Ich fand es früher immer schon absurd, wenn „Juden und Deutsche“ gesagt wurde – als müssten das grundsätzlich verschiedene Menschen sein. Das ist genauso absurd bei Muslimen.

 

Manche behaupten ja eher nebulös, Islam sei nicht Teil unseres Landes. Aber muss man das nicht so verstehen, dass sie eigentlich sagen wollen: Muslime sind nicht Teil unseres Landes? So konkret will dann doch keiner werden, weil es dann deutlich gegen unser Grundgesetz verstoßen würde.

 

Da werden vom rechten Rand bis in Teile der Mitte der Gesellschaft hinein Integrationsprobleme regelrecht islamisiert – z. B. wenn es um abgehängte Stadtteile, Bildungsverlierer, Parallelgesellschaften oder Gewalt in Flüchtlingsunterkünften geht. Immer soll der Islam schuld sein! Pegida und AfD greifen diese Stimmungen auf und heizen sie weiter an.

 

Warum aber dieses verzerrte Bild?

 

Für mich ist eine Antwort, dass viele Menschen selbst in ihrem Glauben unsicher geworden sind oder mit Religion insgesamt wenig anfangen können – ob es nun um Christentum, Judentum oder Islam geht. Das ist vollkommen in Ordnung, so lange alle in der Gesellschaft ihren Mitmenschen die gleichen Rechte und Freiheiten zugestehen. Aber manche deuten Religionsfreiheit wohl eher als „frei von Religion“ und weniger als die Freiheit, dass jede und jeder seine Religion oder Weltanschauung selbst wählen darf.

 

Was können wir aber tun, damit es zu mehr Normalität Muslimsein und Deutschsein kommt?

 

Ich denke, dass es hier ganz stark auf die Jugend ankommt. Für die junge Generation ist es normal, mit verschiedenen Kulturen aufzuwachsen und andere religiöse Traditionen z.B. von Mitschülerinnen und Mitschülern kennenzulernen. Und sie profitieren von unseren Errungenschaften:

 

  • Die junge Generation hat heute die Möglichkeit, an Deutschlands Universitäten an den Lehrstühlen für Islamische Theologie zu studieren und der wissenschaftlich geschulte Nachwuchs von morgen zu sein – in unseren Schulen, an den Universitäten, aber auch in den Moschee-Gemeinden.

 

  • Die junge Generation hat heute die Möglichkeit, am islamischen Religionsunterricht in der Schule teilzunehmen. Viele der rund 900.000 muslimischen Kinder und Jugendlichen können davon profitieren und noch reflektierter über ihre Religion Bescheid wissen.

 

  • Und heute sind es auch die kleinen Botschaften, die mehr Normalität bringen: z.B. das Foto, das Mesut Özil von seiner Pilgerreise nach Mekka bei facebook im Mai gepostet hatte. Das Bild sahen 30,4 Millionen Fans auf seinem Profil und es wurde 2,2 Millionen Mal mit dem „Gefällt-mir-Button“ kommentiert.

 

Aber nicht nur die AfD ist anstrengend. Bisher bekam ich Beschimpfungen und Beleidigungen ja eher aus dieser Ecke. Jetzt will sich wohl eine Partei gründen, hinter der extreme, türkische Nationalisten stehen. Die Gründung sollten wir jetzt nicht überbewerten. Aber es besorgt mich, dass nationalistische Töne lauter werden, was ja bedeutet, dass es sie auch vor der schwierigen Resolution im Deutschen Bundestag schon gegeben haben muss. Und es wird auch Druck auf einige muslimische Gemeinden ausgeübt, z. B. türkischstämmige Abgeordnete von Ramadan-Empfängen auszuladen.

 

Ich erlaube mir hierzu zwei Anmerkungen: Der Deutsche Bundestag darf in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung alles Mögliche beschließen. Aber eine Resolution des Bundestages kann und darf nicht die türkische Gesellschaft oder die türkische Regierung von heute dafür anklagen, was während des Ersten Weltkrieges geschehen ist. Ich habe ja im Vorfeld der Abstimmung gesagt, dass ich nicht klug finde, dieses Thema in diese Zeit noch einzubetten. Der Anspruch der Resolution ist Versöhnung, aber das ist erst einmal grundlegend schiefgegangen.

 

Aber aus der Türkei hätte auch eine Reaktion kommen können wie z. B.: „Ihr könnt im Bundestag beschließen, was ihr wollt. Aber akzeptieren müssen wir das noch lange nicht.“ Aber stattdessen gab es unglaubliche Beleidigungen und Drohungen. Diese Beleidigungen standen der Sprache der AfD in nichts nach!

 

Auf der anderen Seite habe ich mich wirklich gefreut, dass sich in diesen Tagen so viele Menschen diesem extremen Nationalismus entgegenstellen und Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen ganz deutlich zurückweisen. Schade, dass das im Ramadan 2016 eine so große Rolle gespielt hat!

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

wir sollten uns für eine Gesellschaft einsetzen, die zusammenhält und in der alle – über Religionsgrenzen hinweg – gut miteinander leben können. Und noch vor kurzem haben wir hier bei der Verabschiedung von Ramazan Ucar und Ahmet Yazici Bilanz gezogen, was wir alles erreicht haben. Von Ramadan-Empfängen im Rathaus, die zur Selbstverständlichkeit geworden sind, bis hin zu den Verträgen mit der Stadt Hamburg. Ich kann mich erinnern, wie aufgeregt ich war, als ich vor 15 Jahren den ersten Empfang im Hamburger Rathaus organisiert hatte. BIG Nord hatte mich und meine Fraktion damals nicht im Stich gelassen.

 

Für Goethe war der Koran neben der Bibel übrigens das wichtigste religiöse Dokument der Menschheitsgeschichte. Im hohen Alter widmete er sich den Ursprüngen des Christentum, des Judentum und des Islam. Und er kam für sich zu dem schönen Fazit:

 

„Gott ist der Orient!

Gott ist der Okzident!

Nord- und südliches Gelände,

Ruht im Frieden seiner Hände.“

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen gesegneten Ramadan. Herzlichen Dank!

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sehr geehrter Herr Bezirksamtsleiter,

sehr geehrter Herr Karaoğlu,

sehr geehrte Exzellenzen und Vertreterinnen und Vertreter der Religionsgemeinschaften,

meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

 

vorgestern habe ich im Bundeskanzleramt eine Konferenz zum Thema “Wer sind WIR – und wenn ja, wie viele?” durchgeführt. In diesem Jahr setze ich bei meinen Veranstaltungen einen Schwerpunkt auf das Verständnis von Deutschsein: Was gehört zum Deutschsein? Wer gehört zu unserer Gesellschaft? Und wer wird ausgeschlossen? Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns darüber verständigen, was uns eigentlich zusammenhält und was nicht.

 

Bei der Veranstaltung habe ich Nietzsche zitiert, und möchte das gerne noch einmal tun. Er sagte vor 130 Jahren, 1886: “Es kennzeichnet die Deutschen, dass bei ihnen die Frage »was ist deutsch?« niemals ausstirbt.” Und Nietzsche kam zu dieser Antwort: „Die Deutschen sind unfassbarer, widersprüchlicher, unberechenbarer und überraschender, als es andere Völker sind.“ Vielleicht gehört es in die Kategorie überraschend, wenn wir heute hinzufügen: Deutsche sind auch in zunehmender Zahl Muslime! Was hätte Nietzsche wohl dazu gesagt?!

 

Für mich ist in diesem Jahr das Thema der Normalität von Muslimsein und Deutschsein wichtig. Und dass wir für diese Normalität stärker werben sollten, weil es immer noch Vorurteile und Mythen gegenüber Islam und Muslimen gibt. Vor allem weil es auch Menschen in unserem Land gibt, die anzweifeln, dass man Muslim und Deutsch sein kann.

 

Ich fand es früher immer schon absurd, wenn „Juden und Deutsche“ gesagt wurde – als müssten das grundsätzlich verschiedene Menschen sein. Das ist genauso absurd bei Muslimen.

 

Manche behaupten ja eher nebulös, Islam sei nicht Teil unseres Landes. Aber muss man das nicht so verstehen, dass sie eigentlich sagen wollen: Muslime sind nicht Teil unseres Landes? So konkret will dann doch keiner werden, weil es dann deutlich gegen unser Grundgesetz verstoßen würde.

 

Da werden vom rechten Rand bis in Teile der Mitte der Gesellschaft hinein Integrationsprobleme regelrecht islamisiert – z. B. wenn es um abgehängte Stadtteile, Bildungsverlierer, Parallelgesellschaften oder Gewalt in Flüchtlingsunterkünften geht. Immer soll der Islam schuld sein! Pegida und AfD greifen diese Stimmungen auf und heizen sie weiter an.

 

Warum aber dieses verzerrte Bild?

 

Für mich ist eine Antwort, dass viele Menschen selbst in ihrem Glauben unsicher geworden sind oder mit Religion insgesamt wenig anfangen können – ob es nun um Christentum, Judentum oder Islam geht. Das ist vollkommen in Ordnung, so lange alle in der Gesellschaft ihren Mitmenschen die gleichen Rechte und Freiheiten zugestehen. Aber manche deuten Religionsfreiheit wohl eher als „frei von Religion“ und weniger als die Freiheit, dass jede und jeder seine Religion oder Weltanschauung selbst wählen darf.

 

Was können wir aber tun, damit es zu mehr Normalität Muslimsein und Deutschsein kommt?

 

Ich denke, dass es hier ganz stark auf die Jugend ankommt. Für die junge Generation ist es normal, mit verschiedenen Kulturen aufzuwachsen und andere religiöse Traditionen z.B. von Mitschülerinnen und Mitschülern kennenzulernen. Und sie profitieren von unseren Errungenschaften:

 

  • Die junge Generation hat heute die Möglichkeit, an Deutschlands Universitäten an den Lehrstühlen für Islamische Theologie zu studieren und der wissenschaftlich geschulte Nachwuchs von morgen zu sein – in unseren Schulen, an den Universitäten, aber auch in den Moschee-Gemeinden.

 

  • Die junge Generation hat heute die Möglichkeit, am islamischen Religionsunterricht in der Schule teilzunehmen. Viele der rund 900.000 muslimischen Kinder und Jugendlichen können davon profitieren und noch reflektierter über ihre Religion Bescheid wissen.

 

  • Und heute sind es auch die kleinen Botschaften, die mehr Normalität bringen: z.B. das Foto, das Mesut Özil von seiner Pilgerreise nach Mekka bei facebook im Mai gepostet hatte. Das Bild sahen 30,4 Millionen Fans auf seinem Profil und es wurde 2,2 Millionen Mal mit dem „Gefällt-mir-Button“ kommentiert.

 

Aber nicht nur die AfD ist anstrengend. Bisher bekam ich Beschimpfungen und Beleidigungen ja eher aus dieser Ecke. Jetzt will sich wohl eine Partei gründen, hinter der extreme, türkische Nationalisten stehen. Die Gründung sollten wir jetzt nicht überbewerten. Aber es besorgt mich, dass nationalistische Töne lauter werden, was ja bedeutet, dass es sie auch vor der schwierigen Resolution im Deutschen Bundestag schon gegeben haben muss. Und es wird auch Druck auf einige muslimische Gemeinden ausgeübt, z. B. türkischstämmige Abgeordnete von Ramadan-Empfängen auszuladen.

 

Ich erlaube mir hierzu zwei Anmerkungen: Der Deutsche Bundestag darf in unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung alles Mögliche beschließen. Aber eine Resolution des Bundestages kann und darf nicht die türkische Gesellschaft oder die türkische Regierung von heute dafür anklagen, was während des Ersten Weltkrieges geschehen ist. Ich habe ja im Vorfeld der Abstimmung gesagt, dass ich nicht klug finde, dieses Thema in diese Zeit noch einzubetten. Der Anspruch der Resolution ist Versöhnung, aber das ist erst einmal grundlegend schiefgegangen.

 

Aber aus der Türkei hätte auch eine Reaktion kommen können wie z. B.: „Ihr könnt im Bundestag beschließen, was ihr wollt. Aber akzeptieren müssen wir das noch lange nicht.“ Aber stattdessen gab es unglaubliche Beleidigungen und Drohungen. Diese Beleidigungen standen der Sprache der AfD in nichts nach!

 

Auf der anderen Seite habe ich mich wirklich gefreut, dass sich in diesen Tagen so viele Menschen diesem extremen Nationalismus entgegenstellen und Beleidigungen bis hin zu Morddrohungen ganz deutlich zurückweisen. Schade, dass das im Ramadan 2016 eine so große Rolle gespielt hat!

 

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

 

wir sollten uns für eine Gesellschaft einsetzen, die zusammenhält und in der alle – über Religionsgrenzen hinweg – gut miteinander leben können. Und noch vor kurzem haben wir hier bei der Verabschiedung von Ramazan Ucar und Ahmet Yazici Bilanz gezogen, was wir alles erreicht haben. Von Ramadan-Empfängen im Rathaus, die zur Selbstverständlichkeit geworden sind, bis hin zu den Verträgen mit der Stadt Hamburg. Ich kann mich erinnern, wie aufgeregt ich war, als ich vor 15 Jahren den ersten Empfang im Hamburger Rathaus organisiert hatte. BIG Nord hatte mich und meine Fraktion damals nicht im Stich gelassen.

 

Für Goethe war der Koran neben der Bibel übrigens das wichtigste religiöse Dokument der Menschheitsgeschichte. Im hohen Alter widmete er sich den Ursprüngen des Christentum, des Judentum und des Islam. Und er kam für sich zu dem schönen Fazit:

 

„Gott ist der Orient!

Gott ist der Okzident!

Nord- und südliches Gelände,

Ruht im Frieden seiner Hände.“

 

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen einen gesegneten Ramadan. Herzlichen Dank!

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