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Salı, Haziran 11, 2024

Kommenntar: Die Barbarischen Türken

Ertugrul Uzun ist Politikwissenschaftler aus Berlin Bild: Privat

Die Barbarischen Türken
EUROPÄISCHE GESCHICHTSBILDER

1977 – Ich besuchte die 5. Klasse an der Grundschule am Insulaner in Steglitz. Damals begann mit der 5. Klasse auch der Geschichtsunterricht an Berliner Schulen.

Ich war hocherfreut, als ich im Schulbuch ein Kapitel zur türkischen Geschichte entdeckte. Es ging um die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453.

Meine Freude währte nicht lange. Ein Zeitzeuge, ein griechischer Gelehrter, wurde ausführlich zitiert, wie die Türken nach der Einnahme die Stadt gebrandschatzt und ihre hilflosen Bewohner massakriert hatten.

Ich fühlte mich gedemütigt. In meiner Klasse war ich der einzige Türke, in der Schule gab es außer mir nur zwei weitere.

Das erste, was unseren deutschen Mitschülern über “unsere Geschichte” beigebracht wurde, war, dass wir Türken Barbaren sind.

1990 WASHINGTON D.C.

Als Student an The American University wurde ich eines Tages in der Bibliothek auf eine Quellensammlung zum Osmanischen Reich aufmerksam.

Als ich darin blätterte, stieß ich auf jene Zeilen, die sich mir als 10-Jähriger tief ins Gedächtnis eingebrannt hatten.

Da war es wieder: die Untaten der Eroberer von 1453. Mein Schulbuch hatte nicht gelogen.

Ich las weiter.

Und siehe da, der Bericht des griechischen Zeitzeugen hörte nicht mit den Plünderungen auf.

Im weiteren berichtete dieser wie Sultan Mehmet am dritten Tag der Einnahme der Stadt seinen Soldaten Einhalt gebot. Ab da wurden Übergriffe mit dem Tode bestraft.

So denn führte der griechische Gelehrte aus, wie Mehmet II. den orthodoxen Christen völlige Freiheit des Glaubens gewährte und ganz in der Tradition der byzantinischen Kaiser einen griechischen Geistlichen zum Patriarchen der orthodoxen Kirche ernannte.

Lang und breit beschrieb der Zeitzeuge, wie Konstantinopel unter der türkischen Hoheit zu neuer Blüte kam, die Infrastruktur und das Stadtbild mit umfangreichen Bauaktivitäten entwickelt und viele Griechen aus dem Umland in Konstantinopel angesiedelt wurden.

Mein deutsches Schulbuch hatte nicht gelogen was die unmittelbaren drei Tage nach der Einnahme der Stadt betraf, hatte aber die Entwicklungen in weiteren und das tolerante Regime der Türken ausgeblendet.

Und zwar, indem es aus dem Bericht des griechischen Gelehrten selektiv zitierte.

KONSTANTINOPEL AM VORABEND DER EROBERUNG

Tatsächlich war es das lateinische Europa gewesen, das Konstantinopel den Todesstoß versetzt hatte, von der sich die Stadt nie wieder erholen sollte.

1204 hatten die Heere des IV. Kreuzzuges Konstantinopel besetzt und alles niedergemacht.

Gemäß dem Historiker Steven Runciman war Konstantinopel im 12. Jahrhundert eine Millionenmetropole gewesen, hatte um 1400 nur noch 100.000, und weitere 50 Jahre später, also kurz vor der türkischen Einnahme, kaum mehr als 50.000 Einwohner.

Die Bevölkerung war verarmt; überall traf man auf Ruinen. Eine Ahnung von urbaner Größe vermittelte nur noch der Ostteil der Stadt mit der Hagia Sophia und den Vierteln der Kaufleute aus Venedig und Genua.

Ansonsten wirkte Konstantinopel wie eine Ansammlung verstreuter Dörfer. “In vielen Gegenden der Stadt”, so Runciman, “hätte man meinen können, sich im freien Land zu befinden, wo im Frühjahr wilde Rosen blühten und Nachtigalle in den Wäldchen singen.”

Mit anderen Worten:

Am Vorabend der türkischen Eroberung war Konstantinopel ein Schatten seines einst glorreichen Selbst.

Das wenige an Reichtum, was durch Handel noch zustande kam, schöpften die Genuesen ab. Regelmäßig kam es zu antiitalienischen Ausschreitungen unter den Einwohnern.

Die griechischorthodoxe Elite war tief gespalten. Tief saß das Trauma der Verwüstung der Stadt durch die Kreuzfahrer (1204). Lukas Notaras, dem Großadmiral von Byzanz, wird der Satz zugeschrieben: “Ich würde lieber einen türkischen Turban in der Stadt sehen als eine lateinische Mitra.”

Emanuel Eckart schreibt in Die Zeit vom 26. Mai 2003

“Mehmet II…. zeigt sich souverän. Die Christen im Osmanischen Reich sollen sich selbst verwalten dürfen, unter der Amtsgewalt ihres kirchlichen Oberhauptes, des Patriarchen.

Ein Mönch namens Gennadios soll es sein. Der (byzantinische) Kaiser hatte ihn verbannt, weil er sich heftig gegen die Union mit der lateinischen Kirche gewehrt hatte.

Das feierliche Zeremoniell seiner Amtseinführung folgt byzantinischem Ritus. Der Sultan übernimmt die Rolle des Kaisers. Weil das Brustkreuz des Patriarchen in den Wirren der Eroberung verloren ging, stiftet der Sultan ein neues.

Außerdem schenkt Mehmet dem Kirchenvater ein Pferd und garantiert ihm schriftlich die Unverletzlichkeit seiner Person, Steuerfreiheit, Schutz vor Absetzung und das Recht, diese Privilegien für immer und ewig auf seine Nachfolger zu übertragen.

Die eroberte Stadt erlebt eine neue Blüte. Griechen kommen aus allen Teilen ihres besetzten Landes und Menschen aller Konfessionen: christliche Armenier, Juden, Türken. 1481, im Todesjahr des Eroberers, hat sich die Bevölkerung bereits vervierfacht.”

WIDER DIE HISTORISCHE WAHRHEIT

Vorurteile halten sich jedoch auch im 21. Jahrhundert und werden durch selbsternannte Autoritäten kolportiert.

So schreibt ein gewisser Jan von Flocke am 01.07.2007 in Die Welt:

“Mehmet II. war ein fanatischer Christenhasser.”

Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein. Mehmet II. war ein Bewunderer der italienischen Renaissance und beherrschte über seine Muttersprache Türkisch hinaus Griechisch, Arabisch, Lateinisch, Persisch und Hebräisch.

So denn schreibt Jan von Flocke

“Der Sultan erlaubte seinen Männern eine dreitägige Plünderung, die ihnen gemäß islamischer Tradition zustand.”

Richtig ist, dass bis ins 18. Jahrhundert hinein die Plünderung von eroberten Städten auch in Westeuropa die Praxis war. Mit der Aussicht aufs Paradies allein ließen sich christliche wie moslemische Soldaten nicht dazu motivieren, ihr Leben zu riskieren.

Eine weitere Zeile aus dem Artikel des Jan von Flocke

“Vor der Hagia Sophia angekommen, bestieg auf seinen Befehl der oberste Imam die Kanzel und verkündete den Sieg im Namen Allahs. Konstantinopel heißt bis heute Istanbul.”

Blödsinn. Die Stadt hieß unter den Türken, bis Ende der 1920’er Jahre, Konstantiniyye.

Schließlich sah sich Sultan Mehmet II. als den einzig legitimen Erben des römischen Reiches und seiner Kaiser an, weshalb er sich auch Kayzer-i Rum (römischer Kaiser) nannte.

MEINE SKEPSIS

In anbetracht der verkürzten Darstellung auch der einfachsten Tatsachen über die türkische Geschichte in den Medien und der populärwissenschaftlichen Literatur Europas bewahre ich mir eine gesunde Skepsis gegen eurozentrisch-vereinfachende Narrative bezüglich dieser in sämtlichen Bereichen – ob es nun um den komplexen armenisch-türkischen Konflikt geht oder die Person Atatürks.

Verfasst von Ertuğrul Uzun – Berlin – 03.12.2019

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1977 – Ich besuchte die 5. Klasse an der Grundschule am Insulaner in Steglitz. Damals begann mit der 5. Klasse auch der Geschichtsunterricht an Berliner Schulen.

Ich war hocherfreut, als ich im Schulbuch ein Kapitel zur türkischen Geschichte entdeckte. Es ging um die Eroberung Konstantinopels durch die Türken im Jahre 1453.

Meine Freude währte nicht lange. Ein Zeitzeuge, ein griechischer Gelehrter, wurde ausführlich zitiert, wie die Türken nach der Einnahme die Stadt gebrandschatzt und ihre hilflosen Bewohner massakriert hatten.

Ich fühlte mich gedemütigt. In meiner Klasse war ich der einzige Türke, in der Schule gab es außer mir nur zwei weitere.

Das erste, was unseren deutschen Mitschülern über “unsere Geschichte” beigebracht wurde, war, dass wir Türken Barbaren sind.

1990 WASHINGTON D.C.

Als Student an The American University wurde ich eines Tages in der Bibliothek auf eine Quellensammlung zum Osmanischen Reich aufmerksam.

Als ich darin blätterte, stieß ich auf jene Zeilen, die sich mir als 10-Jähriger tief ins Gedächtnis eingebrannt hatten.

Da war es wieder: die Untaten der Eroberer von 1453. Mein Schulbuch hatte nicht gelogen.

Ich las weiter.

Und siehe da, der Bericht des griechischen Zeitzeugen hörte nicht mit den Plünderungen auf.

Im weiteren berichtete dieser wie Sultan Mehmet am dritten Tag der Einnahme der Stadt seinen Soldaten Einhalt gebot. Ab da wurden Übergriffe mit dem Tode bestraft.

So denn führte der griechische Gelehrte aus, wie Mehmet II. den orthodoxen Christen völlige Freiheit des Glaubens gewährte und ganz in der Tradition der byzantinischen Kaiser einen griechischen Geistlichen zum Patriarchen der orthodoxen Kirche ernannte.

Lang und breit beschrieb der Zeitzeuge, wie Konstantinopel unter der türkischen Hoheit zu neuer Blüte kam, die Infrastruktur und das Stadtbild mit umfangreichen Bauaktivitäten entwickelt und viele Griechen aus dem Umland in Konstantinopel angesiedelt wurden.

Mein deutsches Schulbuch hatte nicht gelogen was die unmittelbaren drei Tage nach der Einnahme der Stadt betraf, hatte aber die Entwicklungen in weiteren und das tolerante Regime der Türken ausgeblendet.

Und zwar, indem es aus dem Bericht des griechischen Gelehrten selektiv zitierte.

KONSTANTINOPEL AM VORABEND DER EROBERUNG

Tatsächlich war es das lateinische Europa gewesen, das Konstantinopel den Todesstoß versetzt hatte, von der sich die Stadt nie wieder erholen sollte.

1204 hatten die Heere des IV. Kreuzzuges Konstantinopel besetzt und alles niedergemacht.

Gemäß dem Historiker Steven Runciman war Konstantinopel im 12. Jahrhundert eine Millionenmetropole gewesen, hatte um 1400 nur noch 100.000, und weitere 50 Jahre später, also kurz vor der türkischen Einnahme, kaum mehr als 50.000 Einwohner.

Die Bevölkerung war verarmt; überall traf man auf Ruinen. Eine Ahnung von urbaner Größe vermittelte nur noch der Ostteil der Stadt mit der Hagia Sophia und den Vierteln der Kaufleute aus Venedig und Genua.

Ansonsten wirkte Konstantinopel wie eine Ansammlung verstreuter Dörfer. “In vielen Gegenden der Stadt”, so Runciman, “hätte man meinen können, sich im freien Land zu befinden, wo im Frühjahr wilde Rosen blühten und Nachtigalle in den Wäldchen singen.”

Mit anderen Worten:

Am Vorabend der türkischen Eroberung war Konstantinopel ein Schatten seines einst glorreichen Selbst.

Das wenige an Reichtum, was durch Handel noch zustande kam, schöpften die Genuesen ab. Regelmäßig kam es zu antiitalienischen Ausschreitungen unter den Einwohnern.

Die griechischorthodoxe Elite war tief gespalten. Tief saß das Trauma der Verwüstung der Stadt durch die Kreuzfahrer (1204). Lukas Notaras, dem Großadmiral von Byzanz, wird der Satz zugeschrieben: “Ich würde lieber einen türkischen Turban in der Stadt sehen als eine lateinische Mitra.”

Emanuel Eckart schreibt in Die Zeit vom 26. Mai 2003

“Mehmet II…. zeigt sich souverän. Die Christen im Osmanischen Reich sollen sich selbst verwalten dürfen, unter der Amtsgewalt ihres kirchlichen Oberhauptes, des Patriarchen.

Ein Mönch namens Gennadios soll es sein. Der (byzantinische) Kaiser hatte ihn verbannt, weil er sich heftig gegen die Union mit der lateinischen Kirche gewehrt hatte.

Das feierliche Zeremoniell seiner Amtseinführung folgt byzantinischem Ritus. Der Sultan übernimmt die Rolle des Kaisers. Weil das Brustkreuz des Patriarchen in den Wirren der Eroberung verloren ging, stiftet der Sultan ein neues.

Außerdem schenkt Mehmet dem Kirchenvater ein Pferd und garantiert ihm schriftlich die Unverletzlichkeit seiner Person, Steuerfreiheit, Schutz vor Absetzung und das Recht, diese Privilegien für immer und ewig auf seine Nachfolger zu übertragen.

Die eroberte Stadt erlebt eine neue Blüte. Griechen kommen aus allen Teilen ihres besetzten Landes und Menschen aller Konfessionen: christliche Armenier, Juden, Türken. 1481, im Todesjahr des Eroberers, hat sich die Bevölkerung bereits vervierfacht.”

WIDER DIE HISTORISCHE WAHRHEIT

Vorurteile halten sich jedoch auch im 21. Jahrhundert und werden durch selbsternannte Autoritäten kolportiert.

So schreibt ein gewisser Jan von Flocke am 01.07.2007 in Die Welt:

“Mehmet II. war ein fanatischer Christenhasser.”

Nichts könnte ferner von der Wahrheit sein. Mehmet II. war ein Bewunderer der italienischen Renaissance und beherrschte über seine Muttersprache Türkisch hinaus Griechisch, Arabisch, Lateinisch, Persisch und Hebräisch.

So denn schreibt Jan von Flocke

“Der Sultan erlaubte seinen Männern eine dreitägige Plünderung, die ihnen gemäß islamischer Tradition zustand.”

Richtig ist, dass bis ins 18. Jahrhundert hinein die Plünderung von eroberten Städten auch in Westeuropa die Praxis war. Mit der Aussicht aufs Paradies allein ließen sich christliche wie moslemische Soldaten nicht dazu motivieren, ihr Leben zu riskieren.

Eine weitere Zeile aus dem Artikel des Jan von Flocke

“Vor der Hagia Sophia angekommen, bestieg auf seinen Befehl der oberste Imam die Kanzel und verkündete den Sieg im Namen Allahs. Konstantinopel heißt bis heute Istanbul.”

Blödsinn. Die Stadt hieß unter den Türken, bis Ende der 1920’er Jahre, Konstantiniyye.

Schließlich sah sich Sultan Mehmet II. als den einzig legitimen Erben des römischen Reiches und seiner Kaiser an, weshalb er sich auch Kayzer-i Rum (römischer Kaiser) nannte.

MEINE SKEPSIS

In anbetracht der verkürzten Darstellung auch der einfachsten Tatsachen über die türkische Geschichte in den Medien und der populärwissenschaftlichen Literatur Europas bewahre ich mir eine gesunde Skepsis gegen eurozentrisch-vereinfachende Narrative bezüglich dieser in sämtlichen Bereichen – ob es nun um den komplexen armenisch-türkischen Konflikt geht oder die Person Atatürks.

Verfasst von Ertuğrul Uzun – Berlin – 03.12.2019

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