Amazon verwehrt seinen Mitarbeitenden am niedersächsischen Standort Winsen (Luhe), sich am Arbeitsplatz mit FFP2-Masken zu schützen. Dem ARD- Magazin „Panorama“ (NDR), das am Donnerstag, 22. April um 21.45 Uhr im Ersten läuft, liegen entsprechende Dokumente vor. Im Februar teilte Amazon den Beschäftigten per Aushang mit, dass ausschließlich medizinische Einwegmasken (auch OP-Masken genannt) in Winsen getragen werden dürfen. Unter dem Text war eine durchgestrichene FFP2-Maske abgebildet. Nach „Panorama“-Recherchen hat sich an dieser Praxis nichts geändert, ein ähnlich lautender Aushang aus dem April liegt vor. Mehrere Amazon-Beschäftigte bestätigen diese Regelung ebenfalls.
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Rechtlich gesehen reichen momentan medizinische Einwegmasken zur Erfüllung der Maskenpflicht. FFP2-Masken gelten aber als sicherer. Sie dienen nicht nur dem Schutz Dritter, sondern schützen – richtig getragen – auch den Träger der Maske, indem sie Partikel, Tröpfchen und Aeresole abhalten.
Amazon will sich zu dem Verbot konkret nicht äußern. Auf „Panorama“-Anfrage räumt der Konzern aber ein, ausschließlich medizinische Masken zur Verfügung zu stellen. Man lasse Ausnahmen zu, wenn Mitarbeitende dies beantragten. Amazon teilt schriftlich mit: „Unsere Maßnahmen gehen über die gesetzlichen Vorgaben hinaus und sind wirksam gegen die Übertragung des Virus. Dies wurde von Gesundheitsbehörden und Berufsgenossenschaften bestätigt.“
Hintergrund des Verbots sind offenbar zusätzlich anfallende Erholungszeiten. Das legen etwa Aussagen einer Amazon-Mitarbeiterin nahe. Sie habe ihren Vorgesetzten auf FFP2-Masken angesprochen. Dieser habe gesagt, FFP2-Masken seien verboten, damit den Beschäftigten keine zusätzliche Pause gewährt werden müsse. Tatsächlich sollen nach einer Empfehlung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung FFP2-Masken je nach körperlicher Schwere der Arbeit maximal 75 Minuten bis zwei Stunden am Stück getragen und anschließend eine halbe Stunde maskenfreie Zeit eingelegt werden. Bei leichter körperlicher Arbeit ist auch eine Verlängerung auf drei Stunden Tragedauer möglich.
Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach verurteilt diese Praxis von Amazon als „unvertretbar“ und „unethisch“. Aus seiner Sicht sei das eine „Gefährdung der Arbeitnehmer“. Lauterbach fordert im Interview mit „Panorama“ immer dann eine FFP2-Pflicht in Unternehmen, wenn eine Aerosol-Übertragung wahrscheinlich sei. Auch für die Betriebe sei diese Regelung die bessere Alternative. Denn: „Wenn die Arbeitgeber dafür kein Verständnis haben, werden wir vielleicht irgendwann an den Punkt kommen, wo wir die Betriebe dann doch eine Zeitlang schließen müssen.“
In einem anderen Logistikzentrum, in Leipzig, gestattet Amazon immerhin den Beschäftigten, privat mitgebrachte FFP2-Masken zu tragen – und gestattet den Mitarbeitenden – egal welche Maske sie tragen – nach zwei Stunden eine halbstündige maskenfreie Pause zu machen. Allerdings geht diese Regelung vollständig zulasten der Beschäftigten, wie Thomas Rigol, Betriebsratsvorsitzender am Leipziger Amazon-Standort, in „Panorama“ berichtet. „Die Stunden werden vom Überstunden-Konto abgezogen“. Weil das auf Dauer zu erheblichen Minusstunden führe, würden die Mitarbeitenden diese freiwillige Pause kaum nutzen. Rigol befürchtet, dass die Ansteckungsgefahr steigt, wenn Beschäftigte zwischendurch heimlich die Masken abnehmen, um durchzuschnaufen. Amazon verweist darauf, dass für die medizinischen Einwegmasken, die sie den Mitarbeitenden anbieten, keine zusätzlichen Pausen notwendig seien.
Amazon wird seit Beginn der Pandemie mangelnder Infektionsschutz vorgeworfen. An mehreren Standorten kam es bereits zu Corona-Ausbrüchen. Während der ersten Welle der Pandemie wurden mehr als 50 Beschäftigte des Logistikzentrums in Winsen (Luhe) positiv auf das Corona-Virus getestet, wie das NDR Format „STRG_F“ im Mai 2020 berichtete (https://www.youtube.com/watch?v=FOUFWMF2tus&t=20s). Wie viele Amazon-Beschäftigte in den jeweiligen Logistik- und Verteilzentren positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, ist unklar. Amazon gibt zu den Zahlen keine Auskunft.
Die wirtschaftliche Lage bei Amazon hat sich während der Corona-Pandemie hervorragend entwickelt. Seit Ausbruch des Virus hat sich der Wert der Aktie fast verdoppelt. Professor Klaus Dörre bezeichnet Amazons Umgang mit dem Gesundheitsschutz als skandalös. Der Arbeits- und Industriesoziologe von der Universität Jena hat sich intensiv mit Amazon und dessen Beschäftigungsmodell befasst. Dörre hält Amazon aber nur für die Spitze des Eisbergs. „Wir haben insgesamt eine große Sorglosigkeit in den Unternehmen.“ Faktisch sei nach der ersten Welle in produzierenden Unternehmen das Geschäft einfach weitergelaufen. Das habe zu einer Zweiklassengesellschaft unter den Beschäftigten geführt, so Dörre. „Die einen sitzen im Homeoffice und die anderen stehen unter dem Zwang, täglich präsent zu sein. Und da würde man erwarten, dass zumindest die den bestmöglichen Schutz genießen.“ Sei dies nicht der Fall, führe das zu Unzufriedenheit und sorge für zusätzliche Verbitterung.