Wer der Arbeiterklasse den Rücken kehrt, muss vom Wahlergebnis nicht enttäuscht sein!
ELBE EXPRESS/REDAKTION
Nicht bitter, sondern konsequent – 4,9 % das ist die Folge von Systemimmanenz
Einige Gedanken zum Ergebnis der Partei DIE LINKE bei der Bundestagswahl
Das katastrophale Wahlergebnis von DIE LINKE bei der Bundestagswahl, mit 4,9% der
Stimmen und der Rettung der Fraktionsstärke im Bundestag lediglich durch drei Direktmandate, hat mehrere Gründe und einen entscheidenden Hintergrund. DIE LINKE verlor bei dieser Wahl über 2 Millionen Stimmen, das ist knapp die Hälfte der Stimmen von 2017. Mehr als die Hälfte dieser verlorenen Stimmen ging an SPD und Grüne.
Der entscheidende Hintergrund ist, dass DIE LINKE ihre gesellschaftliche Funktion, entscheidend dazu beizutragen, dass die Arbeiterklasse und die Unterdrückten sich organisieren und die Friedensbewegung in ihr einen starken Rückhalt hat, in den letzten Jahren zunehmend aufgegeben hat.
Die Linke hat seit ihrer Gründung 2007 zwei historische Möglichkeiten gehabt unter Beweis zu stellen, ob sie eine systemkonforme bzw. systemrelevante Partei oder zum kapitalistischen System alternativ ist. Das war 2008/2009, die sogenannte Bankenkrise als erste große Krise des Kapitalismus im 21. Jahrhundert und 2020/ 2021 die „Corona – Krise“. In diesen Krisen hat die Partei versäumt das jeweilige Momentum zu nutzen und die betroffenen Menschen zu organisieren. Während und nach der Krise 2008/2009 wurde zu wenig dafür getan, die Menschen einzubeziehen, zu organisieren und offensiv Veränderungen zu fordern und/oder durchzusetzen. In der Corona-Zeit wurden nicht die Interessen der Mehrheit der Menschen in den Mittelpunkt gestellt, sondern das Aufgreifen berechtigter Ängste und das Formulieren von Kritik am Grundrechteabbau den Rechten und der FDP überlassen. Notwendig wäre stattdessen gewesen, dass DIE LINKE die Kritik an der herrschenden Politik in der Corona Krise selber in die Hand genommen und dadurch die Entwicklung einer systemkritischen und alternativen gesellschaftlichen Entwicklung auf den Weg gebracht hätte. Kritiker_innen, die sich nicht der Deutung der Herrschenden unterordneten, wurden darüber hinaus als Verschwörungstheoritiker_innen oder als Rechte diffamiert. Während der Krise hat die Linke mehrheitlich als Teil des wenig reflektierten Einheitschors mit gemacht. Anstatt die Verteilung der „Coronahilfen“ an große Unternehmen kontinuierlich zu thematisieren und offensiv gemeinsam dagegen vorzugehen, verharrte die Partei viel zu weitgehend in Schockstarre und Konformismus.
In Hamburg waren zum Beispiel fast sämtliche Abgeordneten- und Parteibüros während der „Coronazeit“ geschlossen oder nur sporadisch geöffnet, obwohl unter Einhaltung der „Hygieneregeln“ auch möglich gewesen wäre, diese zu öffnen und so für die Menschen, ihre Sorgen und Ängste, sowie für die Organisierung von Protest ansprechbar zu sein. Die Volksinitiative gegen Rüstungstransporte hat gezeigt, dass es auch anders geht. Vierzehntägig gab es 2020 und 2021 Präsenztreffen sowie 2021 einmal im Monat eine Kundgebung mit Podiumsdiskussion und Kultur. Da dort jeweils aufeinander Acht gegeben wurde und die Hygieneregeln beachtet wurden, hat sich in diesem Rahmen niemand mit Corona infiziert. Die Volksinitiative hat nach sechs Monaten trotz aller Beschränkungen 14000 Unterschriften gesammelt. Auch einige soziale Beratungsstellen und Anwält_innen hatten ihre Büros geöffnet, ebenfalls ohne Ansteckungen.
Auch wurde jeder zum Beispiel im Erfurter Parteiprogramm formulierte Ansatz der schrittweisen, aber konsequenten Transformation der Gesellschaft in Richtung Sozialismus von einigen der Entscheidungsträger_innen in den Fraktionen und der Parteispitze seit gut 7 Jahren gezielt sabotiert. Das gilt sowohl für die Bundesebene wie für die Hamburger und weitere Landesebenen.
Die Partei wurde Stück für Stück von einer Mitgliederpartei in eine im Parlamentarismus zentrierte Funktionär_innen-Partei umgewandelt. Die LINKE denkt und plant in diesem Rahmen hauptsächlich von Wahl zu Wahl. Wie bürgerliche Parteien hat sie Funktionärs-Eliten geschaffen, die oftmals primär das Ziel verfolgen sich und ihr Umfeld kontinuierlich zu versorgen oder in immer besser Posten und Positionen zu befördern.
Diese fundamentalen Fehler werden seit Jahren gemacht und wurden innerhalb der Partei immer wieder von Genoss_innen und Strömungen diskutiert und Änderungen
eingefordert. Die Konsequenz davon war jedoch nicht etwa die notwendige offene Diskussion und ein Nachdenken über etwaige Fehler, sondern die gezielte Ausgrenzung und Diffamierung derjenigen Genoss_innen, die darauf bestanden auf Grundlage des Parteiprogramms zu handeln.
Die LINKE steht nun nach der Wahl im Grunde da, wo sie in der jetzigen Verfassung hingehört. Sie ist eine systemimmanente, „systemrelevante“ Partei geworden, bei der sich die Menschen fragen, wozu sie diese Partei wählen sollen. Insbesondere die repräsentativen Spitzen der Partei haben mit ihrem völlig illusionären Traum von einer, von keiner der weiteren Parteien gewollten Regierungsbeteiligung und der Aufweichung der Friedensposition dazu beigetragen, die Partei nahe an den Abgrund zu führen.
Wenn eine sozialistische Partei die Auffassung vertritt, dass durch Regierungsbeteiligung eine Gesellschaft entscheidend verändert werden kann, irrt sie sich. Sie hat dann mit Sozialismus Nichts zu tun. Parlamente sollten von einer sozialistischen Partei dafür genutzt werden, der Arbeiterklasse eine Stimme zu geben. Die LINKE muss wieder eine Alternative zum Kapitalismus und zum Neokolonialismus werden, eine Alternative zu Krieg, Militarismus und Rüstungsexporten, eine sozialistische und soziale Alternative zum im Kapitalismus nicht möglichen Wiederaufbau eines starken Solidarsystems und einer Gesellschaft in der gefördert wird, dass jeder Mensch in seinen Stärken gefördert.
Diese Alternative muss mit den Menschen und Bewegungen gemeinsam erkämpft werden. Es darf nicht darum gehen Almosen zu verteilen oder die Menschen lediglich zu vertreten. Nur durch das Schaffen von Räumen wie zum Beispiel Abgeordnetenbüros in allen Stadtteilen (nach dem Vorbild von Stadtteilbüros) und aktiver Arbeit in den Stadtteilen, in Kommunen und Regionen auf dem Land, kann dazu beitragen die Emanzipation weiter Teile der Bevölkerung zu ermöglichen. Politik muss in jedem Lebensbereich gelebt werden zum Beispiel in Schulen in Schülergruppen, in Betrieben in Betriebsgruppen, in Quartieren mit Stadtteilarbeit, in der Jugendarbeit in den Jugendzentren und in der Organisierung von Arbeitslosen und Vielem mehr. Auch auf dem Land muss wieder Basisarbeit stattfinden und Treffpunkte geschaffen werden. Das hat die LINKE in den letzten Jahren personell und finanziell komplett versäumt.
Konkret für Hamburg würde das zum Beispiel bedeuten, dass die finanziellen Möglichkeiten von Partei und Fraktion genutzt werden sollten, um Beispielsweise in Stadtteilen wie Steilshoop, Mümmelmannsberg, St. Pauli und Neuwiedenthal Abgeordnetenbüros zu öffnen. Diese sollten als Orte des Treffens von Menschen aus den Stadteilen, zum Teetrinken, Diskutieren, Beratung, Bildung, Treffpunkt für Jugendliche, Ort für Ausgegrenzte, politische Veranstaltungen und politische Organisierung sowie kulturelle Aktivitäten genutzt werden. Die Menschen, die sich dort treffen und organisieren, sollten dazu befähigt werden dazu beizutragen, in ihren jeweiligen Lebensbereichen wie Schule, Schüler_innenvertretungen, Ausbildung, Auszubildendenvertretungen, Beruf, Betriebsräten, Sport, Kultur, Gewerkschaften, Stadteilinitiativen usw. die gemeinsam entwickelte Politik in die Praxis umzusetzen. Dafür muss die Linke das Rad nicht neu erfinden, denn sie kann aus den Erfahrungen der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung lernen.
Ein wichtiger Punkt ist, dass die Alternative Perspektive zur neokapitalistischen Realität und zum antikommunistischen Dogmatismus der Rechten Kräfte in den bürgerlichen Parteien klar formuliert und dauerhaft entwickelt wird. Dafür bedarf es einer Verankerung von sozialistischen Gedanken der Gleichheit und Brüderlichkeit in der Bevölkerung.
Einige der Forderungen, die DIE LINKE offensiv stellen und gemeinsam mit der Arbeiterklasse durchsetzen sollte, sind zum Beispiel:
1. Friedenspartei konsequent!
Raus aus der NATO. Die Interessen der deutschen Bevölkerung
werden weder am Hindukusch noch im Indopazifik vertreten;
Verbot von Rüstungsexporten; Beendigung der Auslandseinsätze der Bundeswehr
stattdessen Zivilschutzausbau auf hohem Niveau für Katastrophenfälle und Umweltschäden. Konversion der Rüstungsbetriebe in zivile Betriebe.
2. Hartz IV muss weg! Auskömmliches ein menschenwürdiges Leben ermöglichendes Mindesteinkommen!
3. Eine echte Rentenreform für die gesamte Bevölkerung!
4. Die Kommunen müssen dauerhaft Wohnungen bauen (siehe das Beispiel Wien); Enteignung von Immobilienkonzernen mit Mietwohnungsbestand!
5. Bundesweiter staatlicher Rückkauf aller Versorgungseinrichtungen und staatliche Organisierung der Daseinsvorsorge wie zum Beispiel: Krankenhäuser, Energie und Stromnetze!
6. Einführung von Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer und Umverteilung der Steuerlast auf Reiche sowie große Unternehmen!
7. Klimaschutz ist eine Klassenfrage. Militär und wenige Großunternehmen sind die größten Klimakiller. Die Klimakrise wird hauptsächlich nicht von der Mehrheitsbevölkerung sondern von den Herrschenden und deren Machtstreben und Profitgier verursacht.
Die LINKE braucht einen vollständigen Neuaufbau. Sie trifft in der Bevölkerung auf reichlich fortschrittliche und radikalere Positionen und Lebenswünsche. Sie muss parlamentarische Möglichkeiten und die außerparlamentarischen Wege gleichzeitig nutzen und sollte im Parlament strategische Ziele verfolgen – nicht jedoch das Parlament als Lebensziel ansehen oder mit der realen Welt und Wirklichkeit der Mehrheit der Bevölkerung verwechseln.
Ansonsten geht sie zu Recht unter und ist überflüssig. Wenn DIE LINKE sich nicht wieder auf das Erfurter Pateiprogramm besinnt, verhindert Sie in der jetzigen Form sogar eine andere sozialistische/linksdemokratische Organisationsform der Arbeiterklasse.
Mehmet Yildiz