Die Hamburger Schulbehörde hat eine erste Auswertung der Corona-Infektionen an den Hamburger Schulen vorgelegt. Das umfangreiche Datenmaterial soll für weiterführende wissenschaftliche Studien zur Verfügung gestellt werden. Die erste Auswertung zeigt: Auch in den Schulen infizieren sich Schülerinnen und Schüler mit dem Corona-Virus. Doch die Ansteckungsgefahr ist in der Schule offensichtlich viel geringer als außerhalb der Schule. So haben sich von 372 zwischen den Sommer- und Herbstferien mit Corona infizierten Schülerinnen und Schülern mit großer Wahrscheinlichkeit mindestens 292 (78 Prozent) gar nicht in der Schule, sondern außerhalb der Schule infiziert. Auffällig ist auch, dass sich jüngere Schülerinnen und Schüler unter 12 Jahren nur halb so häufig infizieren wie ältere, ältere sich aber wiederum genauso häufig infizieren wie Erwachsene.
elbeXpress / Haber Merkezi
Die Fachleute der Schulbehörde haben in der Schulzeit zwischen den Sommer- und den Herbstferien vom 4. August bis 4. Oktober 2020 bei allen 372 infizierten Schülerinnen und Schülern den Zeitpunkt und die Umstände ihrer Erkrankung genau überprüft. Sehr oft meldeten Schulen nur einen einzigen Infektionsfall innerhalb von zehn Tagen in einer Jahrgangsstufe. In diesen Fällen ist es unwahrscheinlich, dass sich die Schüler in ihrer Schule und Jahrgangsstufe infiziert haben, weil es dort keine zweite infizierte Person gab, die die Krankheit hätte übertragen können.
Nur bei 116 infizierten Schülerinnen und Schülern (31,2 Prozent) gab es in derselben Zeit, Schule und Jahrgangsstufe mindestens einen weiteren Corona-Fall. Eine genauere Überprüfung jedes einzelnen Falles zeigte, dass sich 36 dieser Schüler sehr klar außerhalb der Schule infiziert hatten, beispielsweise in der Familie, auf Feiern oder bei privaten Treffen. Lediglich 80 (21,5 Prozent) der insgesamt 372 Infektionsfälle von Schülerinnen und Schülern konnten nicht eindeutig auf eine außerschulische Infektion zurückgeführt werden und sind möglicherweise durch eine Ansteckung in der Schule erfolgt.
Ein Blick auf die Zahl der betroffenen Schulen bestätigt dieses Bild. Zwischen den Sommer- und Herbstferien meldeten 171 der 472 Hamburger Schulen Corona-Infektionen unter ihren Schülern. Aber nur in 23 der betroffenen Schulen (13,5 Prozent) gab es gleichzeitig mehrere Infektionen, und nur in 17 Schulen (10 Prozent) hat es vermutlich schulinterne Infektionen gegeben.
Insbesondere die 87 Infektionen an den Berufsschulen zwischen den Sommer- und den Herbstferien waren mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließlich auf Infektionen außerhalb der Schule zurückzuführen. Dieser Eindruck setzt sich auch nach den Herbstferien fort. So wurden in den letzten Tagen 42 Infektionen von Schülerinnen und Schülern an den Berufsschulen BS 15 (Gesundheitsberufe), BS 18 und BS 23 (sozialpädagogische Berufe) genauer überprüft. Im Rahmen der Kontaktnachverfolgung wurde ermittelt, dass sich mindestens 17 (40,5 Prozent) in der Familie oder im privaten Wohnumfeld, mindestens 11 (26,2 Prozent) bei Freunden und mindestens fünf (11,9 Prozent) im Betrieb infiziert hatten. Bei neun Infizierten (21,4 Prozent) ist die Nachverfolgung noch nicht abgeschlossen, doch zurzeit gibt es auch bei ihnen keine klaren Hinweise auf eine Ansteckung in der Schule.
Schulsenator Ties Rabe: „Über die Gründe für den geringen Anteil schulinterner Infektionen und den hohen Anteil schulexterner Infektionen lässt sich zurzeit wenig sagen. Möglicherweise liegt es daran, dass alle Beteiligten innerhalb der Schulen wesentlich disziplinierter und bewusster die Hygieneregeln einhalten als außerhalb der Schulen. Die pädagogischen und sozialen Anleitungen und Kontrollen, die Umsicht der Schulbeschäftigten und auch die im Vergleich zur Freizeit disziplinierteren Verhaltensweisen aller Beteiligten tragen vermutlich dazu bei, die Infektionsgefahr innerhalb der Schulen zu vermindern.“
Die Auswertung zeigt, dass bis zu 290 infizierte Schülerinnen und Schüler in 155 Schulen möglicherweise tagelang zur Schule gegangen sind, ohne Mitschüler oder Schulbeschäftigte zu infizieren. Umgekehrt gab es an rund zehn Prozent aller Schulen mit infizierten Schülern durchaus mehrere schulinterne Infektionen. Schulsenator Ties Rabe: „Es wäre wichtig zu wissen, warum sich das Virus in 90 Prozent der betroffenen Schulen nicht weiterverbreiten konnte, aber in zehn Prozent der Schulen dann doch eine schulinterne Verbreitung stattfand.“
Rabe weiter: „Wir wissen heute zwar mehr über die grundsätzliche Infektionsgefahr für Kinder und Jugendliche, aber zu wenig über die Rolle des Schulbetriebes in der Pandemie. Allem Anschein nach infizieren sich Schülerinnen und Schüler in den Schulen deutlich seltener als außerhalb der Schulen. Um Klarheit zu bekommen, werden wir jetzt einem von der Kultusministerkonferenz beauftragten, unabhängigen wissenschaftlichen Institut unsere Daten zur genaueren Prüfung zur Verfügung stellen. Denn es könnte sein, dass nicht alle schulinternen Infektionen erkannt wurden, weil einzelne Schüler keinerlei Symptome zeigten und gar nicht entdeckt wurden. Umgekehrt könnte ein Teil der vermuteten schulinternen Infektionen letztlich doch in der Freizeit erfolgt sein, beispielsweise bei gemeinsamen Feiern von Schülern aus demselben Jahrgang. Schwer einschätzbar ist auch die Rolle der Pädagogen, denn sie unterrichten oft in verschiedenen Klassen und Jahrgangsstufen.“
Die Hamburger Untersuchung lieferte weitere interessante Hinweise: Auffällig sind die unterschiedlichen Infektionszahlen in den verschiedenen Schulformen. So infizierten sich zwischen den Sommer- und Herbstferien 45 Grundschüler (0,06 Prozent), 65 Gymnasiasten (0,12 Prozent), 163 Stadtteilschüler (0,24 Prozent) und 89 Berufsschüler (0,18 Prozent). Das bedeutet, dass sich Stadtteilschüler etwa doppelt so häufig mit Corona infizierten wie Gymnasiasten, und Gymnasiasten wiederum doppelt so häufig wie Grundschüler. Dieses Muster setzt sich nach den Herbstferien fort: Zwischen dem Ende der Herbstferien und dem 11. November infizierten sich 139 Grundschüler (0,20 Prozent), 218 Gymnasiasten (0,39 Prozent), 460 Stadtteilschüler (0,68 Prozent) und 280 Berufsschüler (0,54 Prozent).
Jüngere Schülerinnen und Schüler in den Klassenstufen 0 bis 6 infizieren sich wie erwartet deutlich seltener als ältere. So infizierten sich zwischen den Sommer- und den Herbstferien 92 der 109.661 (0,1 Prozent) Schülerinnen und Schüler der Klassenstufen 0 bis 6, die Infektionsrate der älteren Schüler ab Klassenstufe 7 war in der gleichen Zeit mit 255 Infizierten von 140.493 Schülerinnen und Schüler mit 0,2 Prozent doppelt so hoch. Daher gibt es zwischen dem Infektionsrisiko älterer Schülerinnen und Schüler und dem Infektionsrisiko von Erwachsenen offensichtlich kaum Unterschiede. Im gesamten Zeitraum vom Ende der Sommerferien bis Mitte November haben sich rund 0,7 Prozent der Gesamtbevölkerung Hamburgs infiziert. Bei Schülerinnen und Schülern ab Klassenstufe 7 und in den berufsbildenden Schulen waren es knapp 0,8 Prozent, demgegenüber aber lediglich 0,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgangsstufen 0-6.
Die Zahlen zeigen auch, dass sich Hamburgs Schulbeteiligte – Schülerinnen, Schüler und Schulbeschäftigte – genauso häufig mit Corona infizieren wie der Durchschnitt der Hamburger Bevölkerung. So infizierten sich vom 20. Oktober bis 17. November 1.708 Schülerinnen, Schüler und Schulbeschäftigte, das entspricht einem Anteil von 15,7 Prozent an den 10.871 Hamburger Corona-Fällen im gleichen Zeitraum. Dieser Anteil entspricht ziemlich genau dem Anteil der rund 290.500 Schülerinnen, Schüler und Schulbeschäftigten an der gesamten Hamburger Bevölkerung von 15,3 Prozent. Die Hamburger Zahlen widerlegen die Behauptung, dass sich die Schulbeteiligten überdurchschnittlich häufig mit Corona infizieren.
Schulsenator Ties Rabe: „Obwohl über den Schulbetrieb zurzeit heftig gestritten wird, gibt es kaum verlässliche Daten oder Studien über das Infektionsrisiko des Schulbetriebes. Im Interesse der Schüler, Eltern, Lehrkräfte und Schulbeschäftigten brauchen wir dringend Klarheit. Es ist nicht logisch und auch nicht empirisch belegt, dass sich infizierte Kinder und Jugendliche vor allem in der Schule infizieren. Unsere ersten Untersuchungen weisen in eine andere Richtung. Wenn wir die Pandemie bewältigen wollen, dann müssen wir den Fokus nicht nur auf den Schulbetrieb, sondern viel stärker auf die vielen anderen Lebensbereiche und Infektionsrisiken von Schülerinnen und Schülern richten.“