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Cumartesi, Nisan 20, 2024

Mehmet Yıldız “Zum 60. Jahrestag des Deutsch-Türkischen Anwerbeabkommens”

Mehmet Yildiz, Bürgerschaftsabgeordneter der Linken

„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ Max Frisch 1965

Zum 60. Jahrestag des Deutsch-türkischen Anwerbeabkommens wird derzeit viel diskutiert. Ausgeblendet wird dabei weitgehend, dass die Anwerbungen damals nicht hauptsächlich aus Mangel an Arbeitskräften durchgeführt wurden, sondern dazu genutzt wurden die Löhne systematisch drücken zu können. Zuerst wurden Italiener_innen, danach Menschen aus den westlichen Balkanstaaten und darauffolgend türkische Arbeiter_innen, meist aus dem ländlichen Raum ins Land geholt, deren Löhne und Lohnerwartungen besonders niedrig waren. Sie wurden dann hauptsächlich in Arbeitsbereichen eingesetzt, die ohnehin schon schlecht bezahlt oder bei deutschen Arbeiter_innen besonders unbeliebt waren. Dazu gehörten Arbeiten in Fischfabriken, im Straßenbau, bei der Müllabfuhr, im Tiefbau, und Hilfsarbeiten aller Art. Sowohl die Arbeitsbedingungen wie auch die Unterbringung der „Gastarbeiter_innen“ waren meist miserabel.

Der Nachzug der Familien in der ersten Generation wurde rechtlich behindert. Insbesondere Kinder und Frauen wurden systematisch ausgegrenzt. Kinder wurden oftmals nur aus sprachlichen Gründen in die Sonderschulen verwiesen, für Frauen wurden weder Bildungsangebote noch kulturelle Teilhabe ermöglicht. Die Wohn und Lebensbedingungen in Unterkünften waren oft inakzeptabel.

In der Zeit der Anwerbung von Arbeitskräften durch die Bundesrepublik ab den 1960er Jahren hat zum Beispiel die Regierung in Schweden wegen Arbeitskräftemangel die vollständige Qualifizierung und Beschäftigung der weiblichen Bevölkerung propagiert und durchgesetzt. Heute ist das dort gesellschaftlich zu sehen, da Frauen weit gleichberechtigter leben und auch in führenden Positionen Frauen sitzen, dass Ganztagsschulen und Ausser – Haus – Kinderbetreuung selbstverständlich sind – und ein ganz anderes Frauenbild entstand.

Es bedeutet also einen wesentlichen Unterschied, ob eine Gesellschaft hauptsächlich an den Interessen des Kapitals oder einem menschenwürdigen Leben orientiert wird.

In den letzten Jahren gibt es eine neue Welle der Anwerbung, aber diesmal werden überwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, zum Beispiel dem Bereich der IT, Computertechnologie, Ingenieure und Pflegekräfte angeworben. Aus unserer Sicht ist das abzulehnen. Nachdem das nordeuropäische Kapital und seine politischen Vertreter_innen den Süden Europas ausgeplündert und „abgehängt“ und im Rahmen der Austeritätspolitik teilweise systematisch in den Ruin getrieben haben (Beispiel Griechenland) – und die Steuerzahler_innen in den anderen Ländern die Qualifizierung ihrer Bürger finanziert haben,werden diese nun in die Bundesrepublik und andere zentraleuropäische Länder abgeworben. Dieser Fachkräfteklau schadet den dortigen Gesellschaften und führt langfristig in die Sackgasse. Neben der Monopolisierung des Kapitals wird so eine Monopolisierung der qualifizierten Arbeitstkräfte betrieben und die weltweite Spaltung weiter vorangetrieben. Doch je weniger zugelassen wird, dass die Volkswirtschaften in ohnehin unterprivilegierten Ländern aufgebaut werden können, umso mehr wird das zu Verwerfungen, Krisen und Kriegen und in ein nicht endende kolonialistische Abhängigkeit führen.

Die neue Anwerbungspolitik ist auch gerade angesichts der Arbeitslosenzahlen und der wirtschaftichen Lage vieler Menschen nach der „Coronakrise“ angesichts der
historischen Entwicklung zynisch. Seit der Zeit der Regierung Helmut Kohls – also seit 40 Jahren – hat die Wirtschaft in ihrer neoliberalen Formation weitgehend versäumt heimische Fachkräfte mit angemessenem Kostenaufwand auszubilden oder zu fördern. Die Arbeitsplätze und Arbeitsbereiche wurden diversifiziert, um gewerkschaftliche Organisierung zu zerstören, Arbeitsplatzsicherheit auszuhebeln und die Löhne immer weiter drücken zu können. Zudem sind die Schulen Orte sozialer Spaltung, da ein durchgängig hochkarätiges Schulsystem torpediert und der öffentliche Bildungsbereich chronisch unterfinanziert wird. Auch die Qualifizierung von Arbeitslosen wird vernachlässigt und selbst die Analphabetenquote steigt. Der sogenannte Fachkräftemangel ist also aus Gründen der Profitmaximierung weitgehend selbst gemacht.

Ein großes Problem sind die auf dieser Grundlage entstandenen Niedriglöhne sowie schlechte Arbeitsbedingungen im Fachkräftebereich. Viele Menschen müssen aufgrund niedriger Löhne in mehreren Jobs parallel arbeiten. Andere haben unerträgliche Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel Intensivpfleger_innen , Altenpfleger_innen , Erzieher_innen, Ärzt_innen in Krankenhäusern und Handwerker_innen und Viele mehr.

In der BRD müsste es nicht einen einzigen Mangelberuf und erst recht keine schlechten Arbeits- oder Ausbildungsbedingungen geben. Der Reichtum der zentraleuropäischen Gesellschaften ist groß, er ist nur falsch verteilt und die Arbeitsbedingungen werden nicht im Interesse der Arbeiterklasse, sondern im Interesse des Kapitals reguliert. Da muss sich viel ändern

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„Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen“ Max Frisch 1965

Zum 60. Jahrestag des Deutsch-türkischen Anwerbeabkommens wird derzeit viel diskutiert. Ausgeblendet wird dabei weitgehend, dass die Anwerbungen damals nicht hauptsächlich aus Mangel an Arbeitskräften durchgeführt wurden, sondern dazu genutzt wurden die Löhne systematisch drücken zu können. Zuerst wurden Italiener_innen, danach Menschen aus den westlichen Balkanstaaten und darauffolgend türkische Arbeiter_innen, meist aus dem ländlichen Raum ins Land geholt, deren Löhne und Lohnerwartungen besonders niedrig waren. Sie wurden dann hauptsächlich in Arbeitsbereichen eingesetzt, die ohnehin schon schlecht bezahlt oder bei deutschen Arbeiter_innen besonders unbeliebt waren. Dazu gehörten Arbeiten in Fischfabriken, im Straßenbau, bei der Müllabfuhr, im Tiefbau, und Hilfsarbeiten aller Art. Sowohl die Arbeitsbedingungen wie auch die Unterbringung der „Gastarbeiter_innen“ waren meist miserabel.

Der Nachzug der Familien in der ersten Generation wurde rechtlich behindert. Insbesondere Kinder und Frauen wurden systematisch ausgegrenzt. Kinder wurden oftmals nur aus sprachlichen Gründen in die Sonderschulen verwiesen, für Frauen wurden weder Bildungsangebote noch kulturelle Teilhabe ermöglicht. Die Wohn und Lebensbedingungen in Unterkünften waren oft inakzeptabel.

In der Zeit der Anwerbung von Arbeitskräften durch die Bundesrepublik ab den 1960er Jahren hat zum Beispiel die Regierung in Schweden wegen Arbeitskräftemangel die vollständige Qualifizierung und Beschäftigung der weiblichen Bevölkerung propagiert und durchgesetzt. Heute ist das dort gesellschaftlich zu sehen, da Frauen weit gleichberechtigter leben und auch in führenden Positionen Frauen sitzen, dass Ganztagsschulen und Ausser – Haus – Kinderbetreuung selbstverständlich sind – und ein ganz anderes Frauenbild entstand.

Es bedeutet also einen wesentlichen Unterschied, ob eine Gesellschaft hauptsächlich an den Interessen des Kapitals oder einem menschenwürdigen Leben orientiert wird.

In den letzten Jahren gibt es eine neue Welle der Anwerbung, aber diesmal werden überwiegend hochqualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland, zum Beispiel dem Bereich der IT, Computertechnologie, Ingenieure und Pflegekräfte angeworben. Aus unserer Sicht ist das abzulehnen. Nachdem das nordeuropäische Kapital und seine politischen Vertreter_innen den Süden Europas ausgeplündert und „abgehängt“ und im Rahmen der Austeritätspolitik teilweise systematisch in den Ruin getrieben haben (Beispiel Griechenland) – und die Steuerzahler_innen in den anderen Ländern die Qualifizierung ihrer Bürger finanziert haben,werden diese nun in die Bundesrepublik und andere zentraleuropäische Länder abgeworben. Dieser Fachkräfteklau schadet den dortigen Gesellschaften und führt langfristig in die Sackgasse. Neben der Monopolisierung des Kapitals wird so eine Monopolisierung der qualifizierten Arbeitstkräfte betrieben und die weltweite Spaltung weiter vorangetrieben. Doch je weniger zugelassen wird, dass die Volkswirtschaften in ohnehin unterprivilegierten Ländern aufgebaut werden können, umso mehr wird das zu Verwerfungen, Krisen und Kriegen und in ein nicht endende kolonialistische Abhängigkeit führen.

Die neue Anwerbungspolitik ist auch gerade angesichts der Arbeitslosenzahlen und der wirtschaftichen Lage vieler Menschen nach der „Coronakrise“ angesichts der
historischen Entwicklung zynisch. Seit der Zeit der Regierung Helmut Kohls – also seit 40 Jahren – hat die Wirtschaft in ihrer neoliberalen Formation weitgehend versäumt heimische Fachkräfte mit angemessenem Kostenaufwand auszubilden oder zu fördern. Die Arbeitsplätze und Arbeitsbereiche wurden diversifiziert, um gewerkschaftliche Organisierung zu zerstören, Arbeitsplatzsicherheit auszuhebeln und die Löhne immer weiter drücken zu können. Zudem sind die Schulen Orte sozialer Spaltung, da ein durchgängig hochkarätiges Schulsystem torpediert und der öffentliche Bildungsbereich chronisch unterfinanziert wird. Auch die Qualifizierung von Arbeitslosen wird vernachlässigt und selbst die Analphabetenquote steigt. Der sogenannte Fachkräftemangel ist also aus Gründen der Profitmaximierung weitgehend selbst gemacht.

Ein großes Problem sind die auf dieser Grundlage entstandenen Niedriglöhne sowie schlechte Arbeitsbedingungen im Fachkräftebereich. Viele Menschen müssen aufgrund niedriger Löhne in mehreren Jobs parallel arbeiten. Andere haben unerträgliche Arbeitsbedingungen, wie zum Beispiel Intensivpfleger_innen , Altenpfleger_innen , Erzieher_innen, Ärzt_innen in Krankenhäusern und Handwerker_innen und Viele mehr.

In der BRD müsste es nicht einen einzigen Mangelberuf und erst recht keine schlechten Arbeits- oder Ausbildungsbedingungen geben. Der Reichtum der zentraleuropäischen Gesellschaften ist groß, er ist nur falsch verteilt und die Arbeitsbedingungen werden nicht im Interesse der Arbeiterklasse, sondern im Interesse des Kapitals reguliert. Da muss sich viel ändern

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